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Semestereröffnung „Buch und Brot & Kartäuserhöfe – Klänge im Zwischenraum“

Am 3. Sept. 24 gaben wir Ihnen die Gelegenheit, zum Semesterauftakt einige der versteckten Innenhöfe des historischen Kartäusergeländes zu erkunden und dabei in die Welt der Literatur einzutauchen. In der malerischen Umgebung der Kölner Südstadt präsentierten die Studienleiter:innen der Akademie eine Auswahl ihrer Lieblingsbücher und kündigten dazu passende Veranstaltungen im neuen Semester an. Eine Bildauswahl der Reise durch Literatur und Raumerkundung dieses wunderbaren Tages finden Sie hier.

Die stimmungsvollen Höfe des Kartäusergeländes boten den idealen Rahmen, sich von den vorgestellten Texten inspirieren zu lassen und in den Zwischenräumen des Alltags neue Klänge zu entdecken.
So widmete Antje Rinecker sich in ihrer Buchvorstellung „Der Tod des Ketzers“ von Peter Tremayne der atemberaubenden Natur Irlands, der ebenso erstaunlichen Kultur und Spiritualität des Landes im 6. Jahrhundert – und der Lösung eines Kriminalfalls.
In Lea Brauns Buchvorstellung „Zeit der Verluste“ von Daniel Schreiber ging es um die Auseinandersetzung und den Umgang mit Verlust in der Unbeständigkeit der Welt und die private und gesellschaftliche Fähigkeit zu trauern.
Martin Bock thematisierte mit seiner Vorstellung von Immanuel Kants „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ die Modernität Kants, der als (gelegentlicher) Billardspieler und „Gottesdienstmeider“ trotzdem um die „Heiligkeit“, also die absolute Verbindlichkeit von Geboten und Menschenrechten, wusste. Kant war strikt der Meinung, dass die überkommenen Konfessionen sich auflösen sollten, weil sie bloß einen menschlichen ‚Standpunkt‘ tragen

Dorothee Schaper brachte uns mit ihrem Buch „Trotzdem Sprechen“ von Lena Gorelik und anderen die These „Trotzdem Sprechen ist die greifbarste Utopie dieser Tage“ näher und den Versuch, in polarisierten und aufgeheizten Zeiten, in denen uns oft die Worte fehlen, am gemeinsamen Gespräch festzuhalten.
Stefan Hößl beschäftigte sich in seiner Buchvorstellung „Desert Insurgency: Archaeology, T. E. Lawrence, and the Arab Revolt“ von Nicholas J. Saunders mit der arabischen Revolte gegen das Osmanische Reich vor etwa hundert Jahren, die die Entstehung nationalstaatlicher Strukturen auf der arabischen Halbinsel maßgeblich beeinflusst haben und so den Urgrund auch heute noch aktiver Konflikte in der Region bilden.
Auch Lena Feldes Buch „Nachleben“ von Abdulrazak Gurnah führte in die Zeit des 1. Weltkriegs, allerdings auf einen anderen Kontinent: In diesem Beitrag zur postkolonialen Literatur wird ein Ausschnitt der Geschichte der Afrikanischen Kolonialisierung in afrikanischer Erzähltradition und aus afrikanischer Perspektive beschrieben.

Im Anschluss gab es wie immer noch ein geselliges Brot zum Buche.

Wir haben an dem Abend viele Anregungen  und Inspirationen aus guten Büchern erhalten. Diese Erfahrung möchten wir auch anderen Menschen in diesem Fall Kindern und Jugendlichen im Iran ermöglichen. Deshalb möchten wir Ihnen das Projekt ‚lies mit mir‘ ans Herz legen.
Eine Initiative von iranischen Frauen, die hochwertige und phantasievolle Kinderbücher iranischen Kindern besonders in entlegenen Dörfern  in Bücherkoffern und kleinen Bibliotheken zu Verfügung stellen und selber vorlesen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie als Würdigung unseres Brot und Buch-Abends diese Initiative mit einer Spende unterstützen. Auf dem Flyer finden Sie weitere Informationen zum Projekt und Unterstützungsmöglichkeiten.

Vielen Dank im Voraus.

Wer noch mehr über Geschichten des Kartäusergeländes und seinem  Umfeld erfahren möchte, ist am 8.9. um 16h herzlich eingeladen, die Geschichte von Pfarrer Georg Fritze und Familie Heymann auf dem Gelände zu erkunden. Herzlich willkommen. Weitere Informationen hier.

„Antisemitismus in Köln widersprechen!“ … unbedingt – und zwar immer wieder.

von Dr. Stefan Hößl

Am 29. Juni 2024 verabschiedete die Verbandsvertretung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region einstimmig die Erklärung ‚Antisemitismus in Köln widersprechen!‘ (https://www.kirche-koeln.de/wp-content/uploads/2024/06/Erklaerung-Antisemitismus-VV-29.6.2024.pdf). Hintergrund war die Veröffentlichung des neuen Jahresberichts der Kölner Meldestelle zu antisemitischen Vorfällen, in dem sich ein deutlicher Anstieg dokumentiert – insbesondere im Nachgang zum terroristischen Überfall der islamistischen HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023. [1] Zitiert wird Bettina Levy, die im Bericht der Meldestelle als Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln auf die überaus realen Bedrohungen von Jüdinnen und Juden in Köln eingeht. In ihrer Erklärung macht die Verbandsvertretung sehr deutlich, dass Derartiges nie akzeptiert werden darf und dass es ein Skandal ist, wenn Jüdinnen und Juden sich fragen müssen, ob sie in Köln noch zuhause sind.

Am Ende der Erklärung steht das Plädoyer, Jüdinnen und Juden ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören, wenn sie von Erfahrungen mit antisemitischer Adressierung, Ausgrenzung und Gewalt berichten, sowie sich solidarisch zu positionieren und Handlungsstrategien gegen Antisemitismus einzuüben. Wie die EKD (2017: 3) (https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/2017_Antisemitismus_WEB.pdf)  betont auch die Verbandsvertretung: „Der Widerspruch gegen Antisemitismus ist nicht nur die Sache einiger weniger, sondern eine Verantwortung aller Christinnen und Christen.“

In diesem kurzen Text wird auf vieles eingegangen, was wichtig ist: Forschungsprojekte zu den Erfahrungen von Jüdinnen (vgl. u.a. Bernstein 2020) machen deutlich, dass Erlebnisse mit Antisemitismus häufig bagatellisiert, relativiert oder ignoriert werden – zuhören, ernst nehmen, empathisch sein: das sollte doch eigentlich selbstverständlich sein…

Liest man die Erzählungen von Interviewten aufmerksam, wird deutlich, dass das Mit-Erlebtem-alleingelassen-Werden für viele eine äußerst negative Dauer-/Belastung darstellt, die manchmal als schlimmer bewertet wird, als die Antisemitismuserfahrung an sich; dass Freund*innen schweigen, dass Lehrkräfte wegschauen, dass Nachbar*innen so tun, als hätte man nichts gesehen oder gehört. Solidarisch sein, Verantwortung übernehmen, sich zu überlegen, was man in der Situation tun kann: das sollte doch eigentlich selbstverständlich sein…

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„Searching for peace“

„Searching for peace“, so hießen die Begegnungsräume am 24. und 25.5.2024 in der Kartäuserkirche in Köln.

Durch die Vorbereitung der interreligiös und auch säkular geprägten Gruppe „We are Together“ verwandelte sich der Kirchraum in einen gemeinsamen Ort für alle Menschen.

Mit dem Satz „Ein Mensch sind wir alle“ waren alle Interessierten eingeladen. Es kamen Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Säkulare und Nachdenkliche zwischen Kultur und Religion. Die Buchstaben des Satzes des Mystikers Jalal a din Rumi,  „Jenseits von Richtig und Falschem Handeln, da     gibt es ein Feld, dort werde ich Dich treffen“ bewegten sich in verschiedenen Sprachen linienförmig durch das Gewölbe des Gebetshauses und umrahmten die Worte, Gespräche und Begegnungen in der ersten Hälfte.

Lichtpoesie ohne Worte und Live-Musik aus orientalischen und okzidentalen Wurzeln ließen das Publikum innehalten und sich besinnen.

Rückmeldungen von Besuchenden klingen so:

„Danke für den Klang-, Licht- und Textraum, den ihr habt entstehen lassen. Wenn der Riss den Schmerz nicht wegdrückt, blüht etwas neues auf.“ „,We are together‘ war spürbar, jede Sekunde. Eine starke Kraft ….dagegen waren die Kriege auf der Welt und die Gewalt im Namen der Religion fast surreal.“

Die Hoffnung wurde so ausgedrückt: „Ich würde mich freuen wenn ihr weitermacht.“

„Solche gemeinsamen Räume und Zeiten ist genau das, was wir gerade brauchen.“

(Die Melanchthon-Akademie war eine der Trägerinnen der Veranstaltung und wird sich weiterhin an solchen Räumen beteiligen.)

Der SINN des Lebens

Der Künstler und Philosoph Martin Dressel hatte sich am 17.September 2023 in Köln-Nippes beim Tag des Guten Lebens mit über 260 Aktionen von und für Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gemacht: Im Kontext unseres Seminars „Urbane Interventionen“ hat er – gemäß der Devise „Die Philosophie geht auf die Straße“ – den Passant:innen – im Sinne der urbanen Intervention – folgende Frage gestellt:

Was denken Sie ist der Sinn des Lebens?

Daraus entstanden ist eine spannende Zusammenstellung an Ideen, die wir hier gerne veröffentlichen möchten. Zum Schluss hat sich Martin Dressel auch selber noch ein paar Gedanken zum Thema gemacht…

Islam bedeutet Frieden – Teil 3

Eine andere Lesart des Islam – Teil 3

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und Christentums ergänzen? Zu einer dreiteilige Vortagsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:

Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Frieden – Die Mitte der Botschaft

Wenn eine Religion triumphiert, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Gläubigen. Die Euphorie wird schnell zu einer geistigen Epidemie, die von einem Gläubigen auf den nächsten springt und Gewalt entgrenzt. Ein Umstand, der Muhammad bewusst war, und den er in seiner finalen Predigt betonte. 1.400 Jahre später stellt sich die Frage, wenn Islam Frieden bedeutet, können Muslime heute noch glaubwürdige Vertreter einer Friedenstheologie sein? Hat der Islam noch genug Leuchtkraft, seine Friedensbotschaft neben jener von Juden und Christen in der Welt erstrahlen zu lassen?

Der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza bejaht dies, sofern Muslime die Gestalt Muhammads ernst nehmen. Aber was sehen Muslime in dem Propheten des Islam, der häufig für Juden und Christen eine Reizfigur darstellt? Ist es vielleicht Zeit, Muhammad mit anderen Augen zu sehen?

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 27. Juni 2023.

 

Islam bedeutet Frieden – Teil 2

Eine andere Lesart des Islam

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und Christentums ergänzen? Zu einer dreiteilige Vortagsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:
Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Das islamische Prinzip der Nichtaggression aus der medinensischen Zeit Muhammads

Religionen werden nicht am Schreibtisch entworfen. Sie entstehen auf der Erde und nah am Menschen. Der russische Überfall auf die Ukraine zeigt wieder einmal, wir Menschen leben in einer kriegerischen Welt. Wie verhält man sich zu bewaffneten Konflikten? Gibt es einen Mittelweg zwischen Pazifismus und dem „Recht des Stärkeren“?

Als Muhammads Friedensbotschaft und Friedenspraxis mit Gewalt konfrontiert wird, stellen sich diese Fragen auch der künftigen Weltreligion Islam. Darf auf Waffengewalt mit Waffen reagiert werden? Gibt es im Krieg ethische Grenzen? Kann man eine Friedenslehre predigen, wenn man selbst in einen Konflikt verstrickt ist? Sind Kriege überhaupt geeignet, Konflikte zu lösen?

Diese Fragen wird der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza versuchen in seinem Vortrag zu beantworten.

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 25. Mai 2023.

 

Islam bedeutet Frieden – Teil 1

Eine andere Lesart des Islam

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und des Christentums ergänzen? Zu einer dreiteiligen Vortragsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:

Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Praktische Friedensimpulse aus der mekkanischen Zeit Muhammads

Die Geschichte der Menschheit lässt sich als eine Geschichte der Gewalt lesen. Der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza zeigt in seinem Vortrag auf, dass der Mensch weder seine gewalttätige Seite abstreifen kann, noch dass er sie unterdrücken sollte. Aber er besitzt die Fähigkeit, sie einzugrenzen und in eine konstruktive Kraft umzuwandeln.
Anhand der mekkanischen Jahre Muhammads und der ersten Muslime lassen sich Strategien wie Impulskontrolle, Achtsamkeit im Denken, Reaktivität, Feindesachtung, Reflexionsübungen, Einüben in Nächstenliebe und die Einnahme von Distanz zu Konfliktherden ableiten, die für den Menschen von heute ebenso relevant sind wie für jene des 7. Jahrhunderts.

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 11. Mai 2023.

Theologie als Lebenslehre

Die Weisheitstheologie der Bibel

Vortrag von Prof. Dr. Klaas Huizing

Wenn es um die Gottesbeziehung des Menschen geht, hat die Theologie bisher auf die »Schuld« gesetzt: Das Heil des Menschen besteht in der Erlösung von der Sünde! Die meisten Menschen erleben sich aber gar nicht als sündig. Einen neuen Weg geht der Würzburger Theologe Klaas Huizing. Die Weisheitstheologie der Bibel entdeckt er für eine Neubestimmung der Rede von Gott. Zentral darin steht die Leiblichkeit des Menschen. Es ist das leibliche in der Welt sein, das dem Menschen Erfahrungen des Heiligen ermöglicht und es sind die Weisheitstraditionen der Bibel, die diesen Erfahrungen Gestalt und so dem Leben Orientierung geben.

In Zusammenarbeit mit der Karl-Rahner-Akademie

Aufgezeichnet am 4. Mai 2023 über den Zoom-Kanal der Melanchthon-Akademie in Köln

„Hinweg mit dem Alten Testament!?“

Der Streit in der Evangelischen Kirche um das Alte Testament in der Zeit des Nationalsozialismus

Vortrag von Prof. Dr. Siegfried Hermle

In der Zeit des Nationalsozialismus gab es sowohl in der Gesellschaft wie auch in der evangelischen Kirche Kreise, die lautstark eine komplette Abschaffung oder doch zumindest eine rigorose „Reinigung“ des Alten Testaments forderten, da dieses „arischen“ Menschen nicht zugemutet werden könne.

Freilich blieb diese Haltung nicht unwidersprochen: Viele Theologen – zumeist aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche – setzten sich für eine Beibehaltung des Alten Testaments ein.

Der Vortrag wird zunächst knapp die Argumente der Gegner des Alten Testaments vor Augen führen und dann ausführlich auf die freilich für uns heute oft unbefriedigende Verteidigung eingehen. Aufgezeigt wird, dass seitens der Verteidiger das Alte Testament als ein primär christliches Buch verstanden und mit ihm gegen das Judentum Position bezogen wurde.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe und Aktionswoche „Verbrannt und verbannt: Bücher und ihre Autor:innen“ des Vereins EL-DE-Haus mit Partner:innen in Erinnerung an die Verbrennungen von Büchern im Jahr 1933.

http://verbranntundverbannt.info/

Der Vortrag wurde gehalten am 25. April 2023 in der Melanchthon-Akademie in Köln.

UNVERZAGT!

7 Tage Leuchten – Unverzagte Frauen
Die Pazifistinnen von 1915.

Von Dorothee Schaper

Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag

In Anlehnung an die diesjährige Fastenaktion „Leuchten! 7 Wochen ohne Verzagtheit“, stellen wir in der Karwoche bis Ostern unverzagte Frauen vor. Diese historischen Frauen verbindet ihr Einsatz für den Frieden und die Verbindung dieses Ziels mit der Frauenbewegung.

 

Wir organisieren uns! 1915 in Den Haag! Wir fordern Frieden!

Beim internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag beschließen wir mit 1136 Frauen aus 12 europäischen Ländern:

Wir Frauen aus vielen Ländern,

zum internationalen Kongresse versammelt, erklären hierdurch über allen Hass und Hader hinaus, der jetzt die Welt erfüllt, uns in der gemeinsamen Lieb zu den Idealen der Gesittung und Kultur verbunden zu fühlen, auch, wo unsere Ziele auseinandergehen.

Wir erklären feierlich,

jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun, um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Nationen herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken.

Wir erklären:

Der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens. Von der innigsten Teilnahme beseelt für die Leidenden, Trostlosen und Unterdrückten, fordern wir, Mitglieder dieses Kongresses, die Frauen aller Nationen feierlichst auf, für ihre eigene Befreiung zu arbeiten und unaufhörlich für einen gerechten und dauernden Frieden zu wirken.

 

Aletta Henriette Jakobs.

Ich bin Aletta Henriette Jakobs.

Am 9. Februar 1854 werde ich in Sappemeer in eine große jüdische Familie hineingeboren. Ich werde die erste Frau in den Niederlanden, die auf eine weiterführende Schule gehen darf, danach bin ich die erste Studentin in Utrecht und promoviere in Groningen.

Neben meinem Arztberuf wird mir der Kampf für das Frauenwahlrecht und für eine pazifistische Haltung innerhalb der Frauenbewegung wichtig. So ergibt es sich, dass ich zusammen mit Jane Adams den Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag vordenke. Gemeinsam fahren wir nach dem Kongress in die USA und haben die Gelegenheit, mit Präsident Wilson sprechen zu können, so wie wir es in Den Haag mit 1136 Frauen aus 12 europäischen Ländern beschlossen haben. Bei den anschließenden Friedensverhandlungen kann man deutlich die Handschrift unseres 20 Punkteplans erkennen.

 

Rosa Manus

Ich bin Rosa Manus.

Ich werde 1881 in Amsterdam in eine wohlhabende liberale jüdische Familie geboren. „Anständige großbürgerliche Frauen arbeiten nicht für Geld, sondern wirken bei Wohltätigkeitsveranstaltungen mit!“, sagt mein Vater. Das ist hart für mich. Aber ich nutze mein Organisationstalent in der Frauenbewegung. 1913 hänge ich mich mit ganzer Kraft in die Organisation des Internationalen Frauenfriedenskongresses 1915 in Den Haag. Ich bin keine Frontfrau, ich bin gerne Assistentin und Vizepräsidentin. Ich bin nicht die Stimme der Frauenbewegung, aber ich organisiere sie gerne. Außerdem reise ich gerne und bin abenteuerlustig. Bis nach Südamerika, nach Palästina, Syrien und Ägypten schaffe ich es zu kommen – und zwar ohne Mann!

1941 werde ich von den Nazibesetzern in den Niederlanden verhaftet. Sie werfen mir pazifistische und kommunistische Interessen vor…. und dann bin ich auch noch Jüdin! Nach drei Monaten Gefängnis in Scheveningen befinde ich mich auf dem Transport ins Konzentrationslager nach Ravensbrück. Am 29. Mai bringen mich die Nazis um.

Meine lieben Hinterbliebenen haben mir einen Grabstein eingerichtet, obwohl ich ja gar kein eigenes Grab habe. Dort erinnern sie sich an mich. Auf meinem Grabstein steht:

„Rosa Manus hat ihr Organisationstalent und ihre Menschenkenntnis, ihre Energie und ihr Vermögen darauf verwendet, Frauen voranzubringen.“

Sie haben recht! Und ich habe es gerne getan!

 

Lida Gustava Heymann

Ich bin Lida Gustava Heymann.

Am 15. März 1868 werde ich als dritte Tochter in Hamburg in eine wohlhabende Familie geboren.

1896 fahre ich zum internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen nach Berlin. Das ist ein großartiges Ereignis! So viele interessante Frauen, die alle etwas verändern wollen. Prompt lerne ich Anita Augspurg kennen. Sie ist eine großartige Frau, mit der ich zukünftig mein Leben teilen werde, über 40 Jahre, bis dass der Tod uns scheidet.

1902 gründen wir gemeinsam mit anderen den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“ und schließen uns 1904 der internationalen Frauenbewegung an. Wir verorten uns in der radikal pazifistischen Gruppe innerhalb der Frauenbewegung. Krieg ist für mich „das größte Verbrechen und der Kulminationspunkt männlicher Raff- und Zerstörungswut!“ Gemeinsam fahren wir 1915 zum Frauenfriedenskongress nach Den Haag. Wir brauchen einen internationalen Ausschuss für einen dauerhaften Frieden!

Ich formuliere im Aufruf für den Kongress in Den Haag: „Frauen Europas, wann erschallt Euer Ruf? Wo bleibt Eure Stimme? Seid Ihr nur groß im Dulden und im Leiden? Versucht dem Rad der Zeit menschlich mutig und stark in die Speichen zu greifen!“ Daraufhin steht die Polizei vor unserer Tür und durchsucht unsere Wohnung. Aber das Flugblatt war glücklicherweise schon verschickt und verteilt. Erst 1917 verweisen uns die Bayern wegen “unpatriotischer Umtriebe” des Landes. Wir verlieren alles und leben nun bescheiden in der Schweiz.

 

Anita Augspurg

Ich bin Anita Augspurg. 

Ich werde im September 1857 in Verden an der Aller in eine liberale Familie geboren. Heiraten möchte ich nicht. Das weiß ich schon früh. Deshalb gehe ich so bald wie möglich nach Berlin in das Lehrerinnenseminar. Auf der internationalen Frauenkonferenz in Berlin lerne ich Lida Gustava Heymann kennen, wie großartig! Mit ihr werde ich ab jetzt durch dick und dünn gehen, bis dass der Tod uns scheidet! Gemeinsam eröffnen wir ein Fotoatelier in München. Wir tragen beide einen Kurzhaarschnitt, reiten und fahren Fahrrad. Die Leute gucken hinter uns her, manche werfen uns unerhörtes Auftreten vor, aber das stört uns nicht.

Im Juni 1908 fahren Lida und ich nach London zum Protestmarsch der Suffragetten. Wir ziehen mit 750.000 Frauen für Wahl- und Selbstbestimmungsrecht durch die Straßen Londons und gewinnen Freundinnen in Frankreich, England, Amerika und Ungarn. Das fühlt sich gut an.

1915 fahren wir zusammen nach Den Haag. Der internationale pazifistische Geist der Konferenz bestärkt uns darin, unseren Weg weiterzugehen.

1923 ziehen in München nationalistisch eingestellte marodierende Banden von gewaltbereiten jungen Männern durch die Straßen und stören Versammlungen von fortschrittlichen international eingestellten Vereinen. Sie nennen sich Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei – ein gewisser Adolf Hitler aus Österreich hetzt sie auf. Sie stürmen auch in die Versammlung unserer Frauenliga für Frieden und Freiheit. Wir fordern eine klare Position des Innenministers gegen diese Vorkommnisse der Nationalsozialisten! Wir fordern die Ausweisung dieses Hitlers aus Bayern – aber in Gesprächen mit dem Innenminister lehnt er ab. Seitdem stehen Lida und ich auf der Liquidationsliste der NSDAP.

60 Jahre später erscheint ein Buch über uns: „Die Rebellion ist eine Frau!“ Das ist ein schöner Titel! Sie schreiben, wir wären zwei der mutigsten Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts….Dabei haben wir doch einfach nur getan, was wir tun mussten.

 

Hedwig Dohm

Ich bin Hedwig Dohm (geb. Schlesinger).

1831 werde ich in Berlin geboren. Ich habe 10 Brüder und sieben Schwestern. Dass meine Brüder bessere Bildungschancen bekommen als wir Schwestern, stört mich noch heute.

Im Alter von 40 Jahren bin ich 18 Jahre mit Ernst Dohm, dem Redakteur des Satiremagazins Kladderadatsch, verheiratet und habe in Berlin vier Kinder großgezogen. Endlich kann ich mich der Frauenfrage widmen.

„Ich bin des Glaubens, dass die eigentliche Geschichte der Menschheit erst beginnt, wenn der letzte Sklave befreit ist, wenn das Privilegium der Männer auf Bildung und Erwerb abgeschafft, wenn die Frauen aufhören, eine unterworfenen Menschenklasse zu sein.“

Die Sklaverei der Schwarzen, der Antisemitismus und die Frauenunterdrückung sind für mich Ausdruck ein und desselben schändlichen Prinzips: der Abwertung des Anderen. So müssen wir das meines Erachtens in Abhängigkeit voneinander begreifen und bekämpfen!

Aber dem gemäßigten Flügel der Frauenbewegung sind meine Ideen viel zu radikal. Ich fühle mich sehr verstanden, als ich in Minna Cauer, Lida Heymann und Anita Augspurg als gleichgesinnte Gesprächspartnerinnen finde, mit denen ich diese weitreichende Analyse teile. Wir gründen den Verband fortschrittlicher Frauenvereine.

1915 fahren meine Schwestern im Geiste nach Den Haag zum Frauenkongress. Am liebsten wäre ich mitgefahren, aber mit 84 Jahren schaffe ich das nicht mehr. Aber bevor ich im Juli 1919 sterben werde, werde ich noch erleben, wie der Rat der Volksbeauftragten im November 1918 das Wahlrecht für Frauen verkündet. Dieser Kampf hat sich gelohnt!

 

Clara Haber

Ich bin Clara Haber (geb. Immerwahr) aus Breslau.

Es ist der 3. Mai 1915. Gestern Nacht habe ich mich erschossen – im Garten unserer Dienstvilla in Berlin Dahlem. Mein Mann hatte vorher mit seinen Kollegen den Sieg über die Schlacht bei Ypern in unserem Haus gefeiert. Als sie alle weg waren, habe ich meine letzten Briefe geschrieben, die Dienstwaffe meines Mannes genommen, bin in den Garten gegangen und habe mich erschossen.

Ich bin Chemikerin und die erste Frau, die in Deutschland in Chemie promoviert hat. Gemeinsam mit meinem Mann Fritz Haber habe ich an der Herstellung von Ammoniak geforscht. Ich habe gehofft, einen Kunstdünger zu erschaffen, der das Hungerproblem in der Welt löst.

Mein Mann hat weiter geforscht und das Chlorgas entdeckt. Im letzten Herbst hat er sich in die Armee einberufen lassen und seitdem erforscht er den Einsatz von Giftgas für den Krieg. Am 22. April haben sie den ersten Giftgasangriff in Ypern (Belgien) in der Geschichte verübt. Mit 150 Tonnen Chlorgas haben sie über zehntausend Menschen umgebracht: Soldaten und zivile Frauen, Männer und Kinder. Ich kann es nicht fassen, dass er seine Fähigkeiten in den Dienst des Massenmordes stellt! Ich konnte nicht anders als öffentlich zu sagen, dass dieses Unternehmen für mich die Perversion der Wissenschaft und ein Zeichen der Barbarei ist.

 

Anna Ediger

Ich bin Anna Ediger, geborene Goldschmidt, und wurde 1831 in eine kunstliebende, intellektuelle jüdische Familie in Frankfurt geboren.

Seit 1893 gehöre ich dem Frankfurter Friedensverein an. Ich gehöre zum Bund der deutschen Frauenvereine. Ich war fest entschlossen nach Den Haag zu fahren und das habe ich auch gemacht!

Den Haag war ein großartiges Erlebnis! So viele kluge Frauen aus so vielen verschiedenen Ländern. Diese Verbundenheit und diese Gewissheit, dass Verständigung ohne Gewalt möglich ist – das kann uns keiner mehr nehmen. Ich habe einen Bericht über unseren Kongress geschrieben. Helene Lange vom Bund der deutschen Frauenvereine wollte diesen noch nicht einmal in ihrer Zeitschrift abdrucken! Das kann ich nicht nachvollziehen.

Den Haag hat mich in meiner Auseinandersetzung weitergebracht. Ich halte es jetzt für noch wichtiger, dass wir in wichtigen Fragen nicht im Rahmen einer Nation denken, sondern uns international verständigen. Das ist uns in Den Haag gelungen, während sich die Männer der verschiedenen Nationen in verfeindeten Schützengräben gegenüber lagen und Angst um ihr Leben hatten. Ich bereue nichts.

 

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Info zum Frauenfriedenskongress 1915

Vom 28.-30. April 1915 kommen in Den Haag 1136 Frauen aus 12 europäischen Ländern von Schweden bis Ungarn sowie aus den USA und Kanada zusammen. Die meisten Teilnehmerinnen sind Holländerinnen. 180 Pazifistinnen aus England und Irland wurden die Pässe entzogen und somit die Ausreise verweigert. Auch den Französinnen wird die Ausreise verweigert. Aus Deutschland kommen 28 Frauen vom radikalen Flügel der Frauenbewegung. Der nationalgesinnte Flügel der deutschen Frauenbewegung mit Gertrud Bäumer an der Spitze teilt mit, dass „der Besuch des Kongresses den nationalen Verpflichtungen der deutschen Frauen entschieden widerspreche.“

Aus dem Frauenkongress entwickelt sich der internationale Ausschuss für dauernden Frieden, der 1919 in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, die es bis heute gibt. Jane Adams, die Präsidentin des Kongresses, bekommt 1931 den Friedensnobelpreis verliehen. Ein weiterer internationaler Frauenfriedenskongress wird 1919 in Zürich abgehalten. Nach dem Kongress reisen zwei Delegationen durch Europa und führen dabei Gespräche mit Vertretern von 13 Regierungen.

„Frauen Europas, wann erschallt euer Ruf? Wo bleibt Eure Stimme? Seid Ihr nur groß im Dulden und im Leiden? Versucht zum mindestens, dem Rad der Zeit, menschlich mutig und stark würdig eures Geschlechtes in die bluttriefenden Speichen zu greifen!“

Mit diesem flammende Aufruf werden Frauen aller Länder nach Den Haag eingeladen.

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Am Ende des Kongresses beschließen die Frauen eine gemeinsame Erklärung, mit der sie sich an die kriegsbeteiligten Regierungen wenden werden. Daraus ein paar Auszüge:

1. PROTEST: Wir protestieren gegen den Wahnsinn und den Gräuel des Krieges, der nutzlos Menschenopfer fordert und vierhundertjährige Kulturarbeit der Menschen zerstört.

2. LEIDEN DER FRAUEN IM KRIEG: Wir protestieren aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welches die Begleiterscheinungen eines jeden Krieges sind.

3. FRIEDENSSCHLUSS: Wir Frauen der verschiedensten Nationen, Klassen, Parteien und Glaubensrichtungen sind uns einig im Ausdruck warmen Mitgefühls mit den Leiden Aller, die unter der Last des Krieges leiden.

11. INTERNATIONALE ORGANISATION: Dieser Internationale Frauenkongress fordert die Organisation einer Vereinigung der Nationen auf der Grundlage aufbauenden Friedens gestaltet werde. An dieser Organisation sollen auch Frauen teilnehmen.

15. DIE FRAUEN IN DER POLITIK: Dieser internationale Frauenkongress fordert, dass die Frauen alle bürgerlichen und politischen Rechte und Verantwortungen unter gleichen Bedingungen tragen sollen wie die Männer.

16. DIE KINDERERZIEHUNG : Dieser internationale Frauenkongress betont die Notwendigkeit, die Erziehung der Kinder so zu leiten, dass ihr Denken und Wünschen auf das Ideal aufbauenden Friedens gerichtet wird.

20. DEPUTATIONEN ZU DEN REGIERUNGEN: Um die Regierungen der Welt zu veranlassen, dem Blutvergießen ein Ende machen und einen gerechten und dauerhaften Frieden zu schließen, entsendet dieser Frauenkongress Deputationen, welche die in den Resolutionen niedergelegte Botschaft den Oberhäuptern der kriegführenden und neutralen Staaten Europas und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Nordamerikas überbringen sollen.

 

 

 

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