Kategorie: Theologie treiben (Seite 1 von 3)

Gewagt! 500 Jahre Täuferbewegung  – auch in Köln

500 Jahre Reformation – war das nicht das große Jubiläum mit dem „Luther-Kopf“ vor ein paar Jahren. 2017? Nochmal „500 Jahre“?

Im 16. Jahrhundert entstanden im Zuge der reformatorischen Bewegung an vielen Orten Gruppen, die auf außerordentlich konsequente und radikale Weise Christsein neu zu leben versuchten. Während evangelische Menschen lutherischen oder reformierten Glaubens bald ohne Lebensgefahr ihren ‚neuen‘ Glauben leben konnten, weil die Fürsten oder Stadträte diese Reformation mitvollzogen, ging es den sogenannten Täufern weit ins 19. Jahrhundert anders. Sie wurden von allen Seiten verfolgt. „Gewagt! 500 Jahre Täuferbewegung 1525 – 2025“ erinnert daran, dass schon vor 500 Jahren viele Christ:innen als mündige Menschen gemeinsam und konsequent ein an biblischen Maßstäben ausgerichtetes Leben führen wollten. Ihre Ideale waren die Freiheit des Glaubens und Gewaltlosigkeit. Sie haben dafür auch Verfolgung, erzwungene Migrationen und Diskriminierung in Kauf genommen. …

Die erste sogenannte „Glaubenstaufe“ Erwachsener fand Ende Januar 1525 in Zürich statt. Hinter dem gemeinsamen Namen „Täufer“ verbarg sich eine vielfältige Bewegung. Gruppen wie die Mennoniten, die Hutterer, die Schweizer Brüder, die Melchioriten gehören dazu. Täufer lebten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, in der heutigen Schweiz, aber auch in der Kurpfalz, in Bayern, Hessen, Thüringen, in Württemberg sowie in Österreich und in Mähren. Auch Baptisten und Quäker zählen zu diesem ‚gewagten‘ Spektrum.

Auch in Köln gibt es auch bis heute Gemeinden, die sich dieser Tradition zuordnen, zum Beispiel verschiedene baptistische und freikirchliche Gemeinden, auch die Quäker. In der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Köln (www.oekumene-koeln.de) gestalten sie am Sonntag, den 19. Januar, 18 Uhr den festlichen Gottesdienst  in der Altkatholischen Kirche Christi Auferstehung, Jülicher Str. 28, 50674 Köln, zu diesem Thema mit. Herzlich willkommen!

Im linksrheinischen Köln erinnern zwei Orte an diese Geschichte: Auf der Via Reformata (www.viareformata) weist eine Station – nahe der Schildergasse – stellvertretend für viele auf die Verfolgung des täuferischen Christen Gerhard Westerburg im 16. Jahrhundert hin. Ein weiterer Ort liegt in der Nähe des Barbarossaplatzes, beim heutigen „Haus Töller“. Dort, an einem damaligen Stadttor, wurde am 5. März 1558 Thomas von Imbroich hingerichtet – weil er die Kindertaufe und den Kriegsdienst verweigerte, keinen Eid leistete und darauf bestand, dass die christliche Gemeinde sich selbst egalitär leite. Ist es dieses Lebens-Wagnis und auch das damit verbundene Recht zur Religions- und Gewissenfreiheit nicht wert, ein Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum zu errichten?

Heimkehr – eine biografisch-theologische Annäherung an Franz Kafkas Erzählung „Heimkehr“. Von Martin Bock

Anm.: Dieser Beitrag von Dr. Martin Bock erscheint im Dezember 2024 in der Zeitschrift „Kirche und Israel“ 40 (2024), 167-175.

1. Generation Z: „Ich bin Gregor Samsa“

Wenige Tage vor Kafkas 100. Todestag am 3. Juni dieses Jahres erscheint in einer Beilage des Kölner Stadtanzeigers[1] ein spannender Artikel, der den Bezug und die Begeisterung der gegenwärtigen jungen „Generation Z“ (die zwischen 1995 und 2010 Geborenen) für das Werk von Franz Kafka in den Fokus stellt: Von dieser Generation werde Kafka „auf Tiktok und Co. gefeiert“, er sei dort ein „Star. Nicht nur seine Briefe werden geteilt, auch seine literarischen Werke lesen und zitieren die 14- bis 29Jährigen“ und setzen sie in einen intensiven Bezug zu ihrer Gegenwart. Es seien vor allem zwei Motive, so der Autor mit Bezug auf den Literaturwissenschaftler Nils Penke, die diese Generation so berührbar macht für Kafkas Texte: zunächst die besondere Bedeutung des Schreibens als Wirklichkeitshorizont, bei der „die Wirklichkeit modelliert und mobilisiert“ werden, Sprache und sinnliche Wirklichkeit aber zugleich in Differenz treten. Diese berühre die Erfahrung jugendlicher Erwachsener in den sozialen Netzwerken, sich in einer fragilen Intimität zu befinden und zu bewegen. Das Schreiben, das Bezug-, Wahr-, Kontakt- und Distanznehmen auf den und die Andere durch das Schreiben sei eine Erfahrung, in der sich die Generation Z in Kafkas Texten wider-spiegele und sie in eigenen, durchaus flüssigen ‚sozialen Medien‘ und Texten auch perpetuiere. Damit verbinde sich die massive Erfahrung von Verlassen- und Einsamkeit, die besonders jene Generation in den vergangenen Jahren, zum Beispiel durch die Corona-Pandemie, erleiden musste und die ein Tiktok-User mit Bezug auf Kafkas Text ‚Die Verwandlung‘ in folgenden Post fasst: „Zu wissen, dass die ‚Verwandlung‘ eine Metapher für diejenigen ist, die die Hoffnung und den Willen zum Leben verloren haben und von Menschen verlassen wurden, weil sie einfach nutzlos zurückblieben und das wahre Gesicht unserer Gesellschaft zeigen, ist sehr traurig“.

Als Vater zweier junger Erwachsener, die in der Tat in den vergangenen Jahren mit ihrer ganzen Generation massiv und immer wieder (Corona, Klimakrise, Zunahme von Einsamkeit) in ihrem Lebensfluss unterbrochen und irritiert werden, berührt mich diese Horizontverschmelzung und die Bedeutung, die Kafkas Texte aus einem schon-Geschriebensein in die Zukunft treiben.

[1] Kristian Teetz, Generation Kafka, Kölner Stadtanzeiger vom 1. Juni 2024.

 

2. Generation Y: „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf“ (Ez 18,3).

„Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren, Josefine aber, erlöst von der irdischen Plage, die aber ihrer Meinung nach Auserwählten bereitet ist, wird fröhlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Helden unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte treiben, in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle ihre Brüder.“[1] Als ich beginne, diesen Artikel zu schreiben, stoße ich auf die im Internet nicht verlorengegangene Traueranzeige meines Essen-Werdener Deutsch- und Geschichtslehrers Klaus Bergmann (1935-2018). Sie ist mit dem Ende der Erzählung „Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse“ überschrieben, Kafkas letzter Erzählung aus dem Frühjahr 1924. Sofort wird mir wieder klar: Ohne meinen Lehrer und seine Leidenschaft für Franz Kafkas Texte wäre mein Leben anders verlaufen. Es war wohl eine produktive Überforderung, uns schon früh mit vielen Kurzgeschichten und Parabeln Kafkas in Berührung zu bringen, nach kurzer Zeit den „Prozess“ und das „Schloss“ lesen zu lassen, mit seinem Deutsch- und Musik-Leistungskurs 1984 10 Tage in Prag zu verbringen – um meine eigene schulische Kafka-Auseinandersetzung im mündlichen Abitur in eine Interpretation der Erzählung „Heimkehr“[2] münden zu lassen. Meiner Generation, also jenen Jugendlichen, die als junge Gymnasiasten 1978 den Film „Holocaust“ entweder selbst sehen oder aber die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Leid des jüdischen Volkes in diesem Kontext mit Furcht und Schrecken rezipierten, die ihren Eltern eine Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen und politischen Verantwortung abringen  – und die auch wahrnehmen, dass die Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Geschichte des Antisemitismus auch das Christentum, in dem ich zarte Wurzeln geschlagen hatte, tiefgreifend betreffen. Die religiöse „Verzauberung der Welt“[3], das spürte ich, war ohne eine Auseinandersetzung mit der theologischen Erschütterung, die der Nationalsozialismus für die Grundfesten des christlichen Glaubens bedeutet, nicht mehr möglich. Für einen Jugendlichen der 80er Jahre, für den die religiös-romantische Sehnsucht nach den kulturellen Quellen des „Alles wird gut“-Gefühls zum Coming-of-Age gehörte, war dies keine geringe Herausforderung.  Umso mehr bin ich dankbar, dass dieser Lehrer aus den Gesprächen und aus seinem enormen Interesse für jeden einzelne Schüler:in spürte, wie sehr uns insbesondere vor diesem generationellen Hintergrund das Judentum als Religion, Kultur und auch als notwendiger Kontext für Kafkas Biografie und literarisches Schaffen interessierte, neugierig machte und uns lockte, ‚hinter die Kulissen‘ der Geschichte und der Textwelten dieser Religion, ihrer Verknüpfungen mit dem Christentum, aber auch in die abgründige Geschichte der Verachtung des Judentums zu schauen.

Seitdem kehre ich als Mensch, als Theologe, als Vater, immer wieder zu und in den Text ‚Heimkehr‘ zurück und entdecke Zwischentöne der textlichen Berührung Kafkas mit dem Zurückgelassenen des ‚alten Hofes‘.

[1] Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse, in: Franz Kafka. Erzählungen, in: Franz Kafka. Gesammelte Werke, hg. von Max Brod, Frankfurt a.M. 1983, 200-216, hier: 216.
[2] Die Überschrift „Heimkehr“ ist offenbar von Max Brod dem Text zugeschrieben worden. So Bertram Rohde, „und blätterte ein wenig in der Bibel“. Studien zu Franz Kafkas Bibellektüre und ihren Auswirkungen auf sein Werk, Würzburg 2002, 141.
[3] Vgl. Jörg Lauter, Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2014.

3. Erlittene Nähe wie Fremdheit – eine Annäherung an die Erzählung ‚Heimkehr‘

Durch ein kurzes Bad in der schier endlosen Sekundärliteratur nehme ich wahr, wie eng manche Auslegungen die Verzahnung von „Heimkehr“ mit dem neutestamentlichen Gleichnis vom ‚verlorenen Sohn‘ im Lukasevangelium (15, 11-32) anlegen[1] – begründet u.a. damit, dass Kafka diesen biblischen Text explizit durch einen Mit-Kurgast im Naturheilsanatorium 1912 vermittelt bzw. ans Herz gelegt bekommen habe[2], aber auch durch die text-motivische Auseinandersetzung mit dem „‘Urverhältnis zwischen Vater und Sohn“, das bei Kafka „zerschlagen“ werde, da es „zu keiner eigentlichen Heimkehr mehr“ komme.[3]

Ich bin nicht sicher, ob es dem Verstehen der Parabel Kafkas wirklich dient, diese mit einem weiteren, gewissermaßen unsichtbaren Text, regelrecht zu vergleichen und dazu noch einer historisch-biografischen Situation zuzuordnen. Vielleicht schärfen jedoch diejenigen Motive aus der Erzählung „Heimkehr“ die den (christlichen) Lesenden auch aus jener neutestamentlichen Erzählung ‚bekannt vorkommen‘ und die zugleich in Kafkas Text ganz eigenständig entwickelt sind, den Blick auf dessen Proprium. Deshalb schauen wir zunächst auf die Erzählung selbst.[4]

„Heimkehr“ ist vollständig aus einer Ich-Perspektive erzählt. Die Erzählung nimmt die Lesenden mit in eine Rückkehr in „meines Vaters alten Hof“. Er nimmt an der Beobachtung teil, die der Ich-Erzähler, der „den Flur durchschritten hat“, aus der Mitte des Hofes, den Blick schweifen lassend, vollzieht. Schritt für Schritt lässt er ihn teilhaben an der sinnlichen Erfahrung, die die Rückkehr für den Ich-Erzähler bedeutet. Es ist wirklich eine sinnliche Erfahrung, die wir in ihren verschiedenen Stufen, Tiefen, Dimensionen und ihrer emotionalen Qualität mitvollziehen: eine Rückkehr an einen Ort mit seinem ‚Inventar‘; eine Rückkehr zu Menschen, in Beziehungen hinein, die der Ich-Erzähler verlassen hat und in deren Erfahrungsraum er durch seine Rückkehr wieder vorstößt. Wir erfahren, dass die vollzogene Rückkehr zu dem Ort, zu des „Vaters Haus“ die zweite Frage „Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche?“ anstößt. Die Beobachtung des Ich-Erzählers richtet sich nun auf das, was er als Spuren von den Menschen, deren Empfang er imaginiert, wahrnimmt: wärmender Rauch aus dem Schornstein, „der Kaffee zum Abendessen wird gekocht“. Was der Erzähler sieht und riecht, führt den Angekommenen aber nun nicht dazu, sich den Menschen an diesem Ort zuzuwenden, sich ihnen zu zeigen, also auch für die Anderen anzukommen. Das Gegenteil ist der Fall: Die sinnlichen Eindrücke drängen ihn zurück in die innere Reflexion, in die Unsicherheit. „Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause?“ Die empfundene Unsicherheit, ob seine Rückkehr wirklich eine Ankunft werden kann,  drängt sich nun auch in die Wahrnehmung des Ortes hinein: „Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück …“. Das Gefühl des Wieder-Erkennens von Haus und Menschen weicht der Entfremdung, ja kehrt sich sogar ins Gegenteil: Die Bedeutung der „Stücke“ sind dem Erzähler überhaupt nicht bekannt, teils hat er sie „vergessen“. Das Gefühl, auch den Menschen, die an „seines Vaters Haus“ leben, nichts nützen zu können, ja ihnen überhaupt nichts (mehr) zu sein, also gewissermaßen den Familien- und Sohnes-‚Status‘ verloren zu haben, ist stärkster Ausdruck dieser enttäuschter und vielleicht in diesem Augenblick gescheiterten Rückkehr. Die Bewegung hin zum und das Durchschreiten des väterlichen Hofes mündet nun einer inneren Erstarrung. Intendierte Bewegungen, die die Distanz überwinden können, wie ein Klopfen an die Küchentür, sind ihm nicht (mehr) möglich.

Der sinnliche Kontakt zu Hof und Menschen beschränkt sich nun auf ein Horchen „von der Ferne“. Diese Ferne, diametral dem ursprünglichen Stehen in der Mitte des Hofes gegenübergestellt, bringt es mit sich, dass ‚objektiv‘ „nichts“ zu hören ist. Wenn er dennoch etwas wahrnimmt, verschwimmt der sinnliche Eindruck mit der Erinnerung „aus den Kindertagen“. In der Gegenwart des Zurückgekehrten bestimmt hingegen Distanz zwischen Erzähler und den Anderen das Geschehen. Sie hat das Warten und Erwarten abgelöst. Geht jene Distanz und Fremdheit allein vom Erzähler aus oder besteht sie tatsächlich auch bei den „dort Sitzenden“, die ihre Gegenwart, ihre Verbundenheit mit Ort und Menschen vor ihm „wahren“?

Die beiden letzten Sätze der Erzählung resümieren die Erfahrung desjenigen, der zurückgekehrt „ist“. Er verlässt den aufgesuchten Ort nicht wieder, kehrt nicht wiederum zurück, aber verbleibt im Zögern „vor der Tür“. Auf Dauer? Noch einmal erscheinen die, die sich hinter jener Tür aufhalten. Es ist das erste Mal, in der sich die Anderen auf ihn zubewegen, indem sie die Tür öffnen und ihn ansprechen – könnten. Aus dem Zurückgekehrt-Sein, aus dem Aufsuchen des Ortes und seinen Lebens- und Begegnungsmöglichkeiten ist ein ferner Möglichkeitsmodus geworden. Und doch hat dieser Modus seine Würde. Denn die, die hier leben und ihn, der zurückgekehrt ist, verbindet die Dimension des „Geheimnisses“. Dieses Geheimnis lässt sich durch das Öffnen einer Tür und wohl auch nicht durch Frage und Antwort, durch keinen Empfang durchbrechen. Es bleibt nur ‚gewahrt‘, wenn die Heimkehr sich so vollzieht, wie der Erzähler sie berichtet, nämlich in tiefster Individualität und Einsamkeit, zugleich aber auch in der phänomenologisch-sinnlichen Erfahrung eines Ortes und seiner Menschen, zu dem und zu denen ich tatsächlich zurückkehre – in erlittener Nähe wie Fremdheit.

[1] Vgl. Rohde, a.a.O., 141ff.
[2] Franz Kafka, Tagebücher, hg. von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcom Passey, Frankfurt a. M. 1982,  1046.
[3] So Werner Kraft, Franz Kafka. Durchdringung und Geheimnis, Frankfurt a. M 1964, 62ff. Eine tiefangelegte motivische Untersuchung der Erzählung in ihrem Verhältnis zum biblischen Gleichnis findet sich bei Rohde, a.a.O., 141ff.
[4] Zitiert nach: Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen, hg. von Max Raabe, Frankfurt a.M., 320f.

4. „Es ist heut keiner, der nicht entfremdet ist“ (F. Rosenzweig). Christlich-jüdisches Lernen auf dem Weg einer zweiten Naivität

Wenn Kafka seine Erzählung ‚Heimkehr‘ auch in Kenntnis und als Leser der neutestamentlichen Erzählung vom ‚verlorenen Sohn‘ zu Papier bringt – oder aber zumindest wir als Lesende diese Rezeptions-Brücke herstellen – dann gelingt es ihm, ein ‚weißes Feuer‘ zwischen den Buchstaben zum Leuchten zu bringen, das meine eigene (christliche) Verstehens-Perspektive dieses Textes sehr bereichert:

‚Heimkehr‘ lässt mich teilhaben an der Rückkehr eines erwachsenen Menschen in ‚meines Vaters alten Hof‘. Sie ist getränkt von der Erfahrung der Wieder-Begegnung mit Zurückgelassenem, mit Verlassenem. Die zurückliegenden Erfahrungen, die zur Trennung, zum Aufbruch, zum Verlassen, führten, werden in ‚Heimkehr‘ nicht thematisiert. Die Erzählung beginnt mit der vollzogenen Heimkehr – die nicht zu einer Aufhebung von Schmerz und Ambivalenz, nicht zur ‚Versöhnung‘ mit Vater und Geschwistern führt, sondern zu Erfahrungen, die neue Zerrissenheit, Sehnsucht und Ferne mit sich bringen, aber auch die Akzeptanz jener Ferne und des Geheimnisses zwischen Menschen, das nicht anders erzählbar ist als durch die Text und Schrift werdende Berührung mit dem Versuch, dem Entschluss zur Heimkehr. Dass er nicht zu einem Ziel, sondern zu einer Möglichkeit, und sei es einer zögerlichen, führt, vollzieht der Lesende mit.

Sind diese Leseerfahrungen nicht hilfreich, um biblische Erzählungen wie zum Beispiel die vom ‚verlorenen Sohn‘ aus der Entweder-Oder-Logik des Gelingens respektive Erfülltwerdens bzw. des Scheiterns herauszuführen? Auch in Luk 15, 11ff. bleibt erstaunlich offen, ob die durch die Rückkehr des jüngeren Sohnes neue Familienkonstellation glücken kann. Wird es den ‚Eltern‘ gelingen, die Lebenserfahrungen des fern-nahen Sohnes, seine offensichtliche Traumatisierung in der Ferne (Luk 15, 14-17), und die des zu Hause Gebliebenen zusammenzuhalten? Die biblische Erzählung beantwortet diese Frage über den Appell des Vaters hinausgehend (v. 24) nicht – die jüdisch-christliche Geschichte von Synagoge und Kirche, die zur Rezeptionsgeschichte der Bibel gehört, jedoch erzählt auf ihre Weise, wie die beiden „Erbteile“ von Judentum und Christentum gegeneinander ausgespielt werden und zu einer Ferne und Fremdheit führten und noch führen. Dass die Entfremdungsgeschichten beider Religionen, der christliche und rassische Antisemitismus der Neuzeit, die Assimilisierungsbestrebungen der jüdischen Minderheiten etc. weitere Prozesse mit sich bringt, die es schwer und kompliziert machten, Zugehörigkeit zu empfinden, hat Franz Kafka im deutschsprachigen Judentum im tschechisch-christlichen Prag und auch in der eigenen familiären Situation zutiefst erfahren.[1]

In Kafkas erzählerischer Bewegung[2] von ‚Heimkehr‘ finde ich einen ‚Mut zur Zögerlichkeit‘, der nicht nur der Lektüre und Auslegung biblischer Texte wie der vom ‚Verlorenen Sohn‘ guttut. Der Berliner Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt weist entgegen einer immer wieder drohenden Privatisierung der Auslegung von Lukas 15, 11ff. darauf hin, dass es in dieser Erzählung auch um die „großen Verheißungen Gottes an die Menschen“[3] geht. Sie spiegeln sich in jenem Umgang mit dem „Erbe“, das in der biblischen Erzählung auf zwei Brüder verteilt wird. Der jüngere Bruder, in seinem nachvollziehbaren ‚Zwang‘, aufzubrechen und das Erbe als Jüngerer pekuniär anzutreten, beschleunigt die Zeit und „will sich selbst die Verheißung erfüllen, die ihm versprochen ist. … Mit solchen Forderungen gebärden wir Christen von heute uns wild und ungeduldig, sind zappelig und können nicht mehr abwarten, dass Gottes Leben sich erfüllt und sich in uns vollendet“. Der andere Bruder „hat dazu eine andere innere Einstellung. Bis die Verheißung sich erfüllt, lebt und arbeitet er aus der Verheißung. Er dient um ihre Erfüllung lange, lange Jahre, wie Jakob um Rahel, bleibt zielgerichtet, bleibt zwar zuhause, hält fest an der Tradition des Vaters, aber er bleibt offen nach vorne.“[4]

Als theo-logische Mitte der Erzählung macht Marquardt jedoch den Maqom, also Gott selbst als ‚Ort der Welt‘ aus: Die Geschichte von den beiden ein- und auskehrenden Söhnen zielt auf den freude-taumelnden, seligen Maqom, den Gott mit sich und für andere aus-füllen will und: „Er ist das Wesen, das den Sündern entgegenstürmt, das alles und alle zum Tanzen bringt; er ist es, der zum Fest rüstet und ersetzt, was wir verschleudern und verspielen.“ Die Heimkehr ist zuallererst „Gottes Antwort auf sich selbst. Er erfüllt sich seine Sehnsucht nach uns.“[5] Erzählbar wird diese theo-logische Mitte angesichts der zappelnden und ungeduldigen versus im Modus der Möglichkeit lebenden Geschwister nur als eine U-Topie. Der „Ort“, der Menschen als Geschöpfen Gott bereit- und offensteht, ist in der Wirklichkeit der Welt-Orte umstritten, verloren, umkämpft, zerrissen und verlassen. „Es kann dazu kommen, dass nicht Eden die Utopie ist, sondern der Ort ‚jenseits von Eden‘“[6].

Spricht nicht auch Kafkas Text ‚Heimkehr‘, der so zentral um den Ort des ‚alten Hofes‘ herum platziert und erzählt ist, in diese Zerrissenheit des Ortes ‚jenseits von Eden‘ hinein, der nur in einer Ambivalenz von Nähe und Ferne, von Trennung und erneuter Bewegung, anwesend ist? Zu Recht macht Karl Josef Kuschel darauf aufmerksam, dass Kafka, sofern er sich in seinem literarischen und auch autobiografischen Werk überhaupt auf biblische Texte bezieht, angezogen wird von Themen, die mit der „Vertreibung aus dem Paradies, Sündenfall, nicht aber Exodus, Prophetie und Erlösung“[7] verbunden sind. „Nur das Alte Testament sieht – nichts noch darüber zu sagen“, notiert Kafka einmal in seinem Tagebuch.[8] Dieses, biblische Texte aufgreifende und von Kafka selbst fortgeschriebene ‚Sehen‘ hat jedoch nicht nur einen „quälenden Aufklärungsprozess über sich selbst“[9] zum Gegenstand.

Kafka kommt, unter anderem durch Vorträge Martin Bubers in Prag (1909-1910), durch seine Begegnung mit der ostjüdischen Theatertruppe unter Leitung von Jizchak Löwy, seine Annäherung an die jiddische Sprache, an den Zionismus, mit einem Strom jüdischer Erneuerung und Hermeneutik in Berührung, wie ihn Franz Rosenzweig, Martin Bubers engster theologischer Partner, in seiner Rede zur Eröffnung des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt 1920 programmatisch so zum Ausdruck bringt: „Es ist heut keiner, der nicht entfremdet ist.“ Deshalb brauche es ein „Lernen in umgekehrte Richtung. … Ein Lernen, zu dem am befähigsten heute der ist, der – am meisten Fremdes mitbringt. Also gerade nicht der jüdische Fachmann. Jedenfalls der jüdische Fachmann nicht als Fachmann, sondern auch er nur soweit er Entfremdeter ist, soweit er Heimsuchender, Heimkehrender ist.“[10] Für dieses neue Denken und Lernen, so drückt es Rosenzweig an anderer Stelle aus, braucht es – Zeit. „Zeit brauchen heißt: nichts vorwegnehmen können, alles abwarten müssen, mit dem Eigenen vom andern abhängig sein.“[11]

Ernst Simon, Schüler von Franz Rosenzweig und Martin Buber, hat die Haltung dieses nicht absichtsvollen, sondern den Lebenserfahrungen des Erwachsenen folgenden und sie begleitenden Lernens als eine solche der ‚zweiten Naivität‘ bezeichnet. „Die Einfalt der Kindheit ist eine »immerwährende Vergangenheit« (Franz Rosenzweig), die sich bei der Geburt eines jeden Kindes täglich erneuert; die zweite Naivität hegt stets in der Zukunft, aber die ihr teilhaftig Gewordenen leben schon gegenwärtig in ihrer Atmosphäre, nicht immer, aber immer wieder.“[12]

In meiner rheinischen Heimat nicht weit von Köln lebe ich in der Nähe zweier Landsynagogen – Titz-Rödingen und Pulheim-Stommeln – , die heute auf unterschiedliche Weise Kultur- und Gedenkorte jüdischen Lebens sind. Die Landsynagoge in Rödingen erzählt die Geschichte ihrer jüdischen Stifterfamilie im 19. Jahrhundert, ihrer Verfolgung im Nationalsozialismus und des erzwungenen Verlassens ihres Lebensortes. Das „Kunstprojekt Synagoge Stommeln“ erzählt davon, wie nach der Wieder-Entdeckung dieses Ortes in den 1990er Jahren Kunstprojekte internationaler Künstlerinnen und Künstler immer aufs Neue zur Auseinandersetzung mit jüdischem Leben in der Diaspora, seinen kulturellen Veränderungen, den antisemitischen Bedrohungen und seiner bleibenden Gegenwart einladen und ein intensives Spannungsfeld zwischen Raum, Besuchenden und Umgebung aufbauen.

Jedes Mal, wenn ich einen dieser beiden Orte allein oder mit Lerngruppen besuche, begleitet mich dabei in Gedanken auch Franz Kafkas Text „Heimkehr“. Mit den Nuancen, mit der Neugier einer ‚zweiten Naivität‘, erfüllt sowohl vom Schrecken des alten und neuen Antisemitismus in unseren Biografien und unserer Zeitgenossenschaft, erfüllt aber auch von den Lernerfahrungen mit jüdischem Leben, ihrer Literatur, Philosophie und Schriftgelehrsamkeit erfahre ich, was Rosenzweig in seiner Rede zum Ausdruck brachte: „Zeit brauchen heißt: nichts vorwegnehmen können, alles abwarten müssen, mit dem Eigenen vom andern abhängig sein.“

Für diese ekstatische wie vulnerable Erfahrung bin ich zutiefst dankbar.

[1] Karl Josel Kuschel zitiert aus Kafkas Tagebuchaufzeichnungen: „Weg vom Judentum, meist mit unklarer Zustimmung der Väter (diese Unklarheit war das Empörende), wollten die meisten, die deutsch zu schreiben anfingen, sie wollten es, mit den Hinterbeinchen klebten sie noch am Judentum des Vaters und mit den Vorderbeinchen fanden sie keinen neuen Boden“, in: Karl Josef Kuschel, Auf dem Seil. Franz Kafka, Stuttgart 2024, 58 (57-65).
[2] Kafkas Tagebucheintragung (siehe Anmerkung 4) geht so weiter: „… Die Verzweiflung darüber war ihre Inspiration“: a.a.O., 58.
[3] Friedrich-Wilhelm Marquardt, Lasset uns mit Jesus ziehen. Dahlemer Predigten und Texte über die Wege Jesu, hg. von Michael Weinrich, Neuendettelsau 2004, 150f.
[4] A.a.O, 150.
[5]  A.a.O., 151.
[6] F.W. Marquardt, Eia, wärn wir da. …, 65.
[7] Kuschel, a.a.O., 101.
[8] Bei Kuschel, a.a.O., 106.
[9] A.a.O., 104.
[10] , 97.
[11] Franz Rosenzweig, „Das neue Denken“, in: Ders., Kleinere Schriften., 373-398, hier: 386f.
[12] Ernst Simon, Brücken. Gesammelte Aufsätze, Heidelberg 1965, S. 273-279, hier: 278.

„Searching for peace“

„Searching for peace“, so hießen die Begegnungsräume am 24. und 25.5.2024 in der Kartäuserkirche in Köln.

Durch die Vorbereitung der interreligiös und auch säkular geprägten Gruppe „We are Together“ verwandelte sich der Kirchraum in einen gemeinsamen Ort für alle Menschen.

Mit dem Satz „Ein Mensch sind wir alle“ waren alle Interessierten eingeladen. Es kamen Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Säkulare und Nachdenkliche zwischen Kultur und Religion. Die Buchstaben des Satzes des Mystikers Jalal a din Rumi,  „Jenseits von Richtig und Falschem Handeln, da     gibt es ein Feld, dort werde ich Dich treffen“ bewegten sich in verschiedenen Sprachen linienförmig durch das Gewölbe des Gebetshauses und umrahmten die Worte, Gespräche und Begegnungen in der ersten Hälfte.

Lichtpoesie ohne Worte und Live-Musik aus orientalischen und okzidentalen Wurzeln ließen das Publikum innehalten und sich besinnen.

Rückmeldungen von Besuchenden klingen so:

„Danke für den Klang-, Licht- und Textraum, den ihr habt entstehen lassen. Wenn der Riss den Schmerz nicht wegdrückt, blüht etwas neues auf.“ „,We are together‘ war spürbar, jede Sekunde. Eine starke Kraft ….dagegen waren die Kriege auf der Welt und die Gewalt im Namen der Religion fast surreal.“

Die Hoffnung wurde so ausgedrückt: „Ich würde mich freuen wenn ihr weitermacht.“

„Solche gemeinsamen Räume und Zeiten ist genau das, was wir gerade brauchen.“

(Die Melanchthon-Akademie war eine der Trägerinnen der Veranstaltung und wird sich weiterhin an solchen Räumen beteiligen.)

Islam bedeutet Frieden – Teil 3

Eine andere Lesart des Islam – Teil 3

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und Christentums ergänzen? Zu einer dreiteilige Vortagsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:

Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Frieden – Die Mitte der Botschaft

Wenn eine Religion triumphiert, bleibt dies nicht ohne Auswirkungen auf die Gläubigen. Die Euphorie wird schnell zu einer geistigen Epidemie, die von einem Gläubigen auf den nächsten springt und Gewalt entgrenzt. Ein Umstand, der Muhammad bewusst war, und den er in seiner finalen Predigt betonte. 1.400 Jahre später stellt sich die Frage, wenn Islam Frieden bedeutet, können Muslime heute noch glaubwürdige Vertreter einer Friedenstheologie sein? Hat der Islam noch genug Leuchtkraft, seine Friedensbotschaft neben jener von Juden und Christen in der Welt erstrahlen zu lassen?

Der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza bejaht dies, sofern Muslime die Gestalt Muhammads ernst nehmen. Aber was sehen Muslime in dem Propheten des Islam, der häufig für Juden und Christen eine Reizfigur darstellt? Ist es vielleicht Zeit, Muhammad mit anderen Augen zu sehen?

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 27. Juni 2023.

 

Islam bedeutet Frieden – Teil 2

Eine andere Lesart des Islam

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und Christentums ergänzen? Zu einer dreiteilige Vortagsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:
Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Das islamische Prinzip der Nichtaggression aus der medinensischen Zeit Muhammads

Religionen werden nicht am Schreibtisch entworfen. Sie entstehen auf der Erde und nah am Menschen. Der russische Überfall auf die Ukraine zeigt wieder einmal, wir Menschen leben in einer kriegerischen Welt. Wie verhält man sich zu bewaffneten Konflikten? Gibt es einen Mittelweg zwischen Pazifismus und dem „Recht des Stärkeren“?

Als Muhammads Friedensbotschaft und Friedenspraxis mit Gewalt konfrontiert wird, stellen sich diese Fragen auch der künftigen Weltreligion Islam. Darf auf Waffengewalt mit Waffen reagiert werden? Gibt es im Krieg ethische Grenzen? Kann man eine Friedenslehre predigen, wenn man selbst in einen Konflikt verstrickt ist? Sind Kriege überhaupt geeignet, Konflikte zu lösen?

Diese Fragen wird der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza versuchen in seinem Vortrag zu beantworten.

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 25. Mai 2023.

 

Islam bedeutet Frieden – Teil 1

Eine andere Lesart des Islam

Vortrag von Dr. Muhammad Sameer Murtaza

Islam bedeutet Frieden. Beharrlich hört man seit den Tagen des 11. Septembers 2001 von jungen Muslimen diesen Satz.
Über welche Friedenspotenziale verfügt der Islam? Wie kann er das Friedenspotenzial des Judentums und des Christentums ergänzen? Zu einer dreiteiligen Vortragsreihe zu diesem anderen Blickwinkel auf den Islam und seinen friedenstheologischen Inhalten laden ein:

Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie, die Stiftung Weltethos, der Zentralrat der Muslime und die Melanchthon-Akademie.

Zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit: Praktische Friedensimpulse aus der mekkanischen Zeit Muhammads

Die Geschichte der Menschheit lässt sich als eine Geschichte der Gewalt lesen. Der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza zeigt in seinem Vortrag auf, dass der Mensch weder seine gewalttätige Seite abstreifen kann, noch dass er sie unterdrücken sollte. Aber er besitzt die Fähigkeit, sie einzugrenzen und in eine konstruktive Kraft umzuwandeln.
Anhand der mekkanischen Jahre Muhammads und der ersten Muslime lassen sich Strategien wie Impulskontrolle, Achtsamkeit im Denken, Reaktivität, Feindesachtung, Reflexionsübungen, Einüben in Nächstenliebe und die Einnahme von Distanz zu Konfliktherden ableiten, die für den Menschen von heute ebenso relevant sind wie für jene des 7. Jahrhunderts.

Eine Zoom-Aufzeichnung der Melanchthon-Akademie, Köln, am 11. Mai 2023.

Theologie als Lebenslehre

Die Weisheitstheologie der Bibel

Vortrag von Prof. Dr. Klaas Huizing

Wenn es um die Gottesbeziehung des Menschen geht, hat die Theologie bisher auf die »Schuld« gesetzt: Das Heil des Menschen besteht in der Erlösung von der Sünde! Die meisten Menschen erleben sich aber gar nicht als sündig. Einen neuen Weg geht der Würzburger Theologe Klaas Huizing. Die Weisheitstheologie der Bibel entdeckt er für eine Neubestimmung der Rede von Gott. Zentral darin steht die Leiblichkeit des Menschen. Es ist das leibliche in der Welt sein, das dem Menschen Erfahrungen des Heiligen ermöglicht und es sind die Weisheitstraditionen der Bibel, die diesen Erfahrungen Gestalt und so dem Leben Orientierung geben.

In Zusammenarbeit mit der Karl-Rahner-Akademie

Aufgezeichnet am 4. Mai 2023 über den Zoom-Kanal der Melanchthon-Akademie in Köln

„Hinweg mit dem Alten Testament!?“

Der Streit in der Evangelischen Kirche um das Alte Testament in der Zeit des Nationalsozialismus

Vortrag von Prof. Dr. Siegfried Hermle

In der Zeit des Nationalsozialismus gab es sowohl in der Gesellschaft wie auch in der evangelischen Kirche Kreise, die lautstark eine komplette Abschaffung oder doch zumindest eine rigorose „Reinigung“ des Alten Testaments forderten, da dieses „arischen“ Menschen nicht zugemutet werden könne.

Freilich blieb diese Haltung nicht unwidersprochen: Viele Theologen – zumeist aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche – setzten sich für eine Beibehaltung des Alten Testaments ein.

Der Vortrag wird zunächst knapp die Argumente der Gegner des Alten Testaments vor Augen führen und dann ausführlich auf die freilich für uns heute oft unbefriedigende Verteidigung eingehen. Aufgezeigt wird, dass seitens der Verteidiger das Alte Testament als ein primär christliches Buch verstanden und mit ihm gegen das Judentum Position bezogen wurde.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe und Aktionswoche „Verbrannt und verbannt: Bücher und ihre Autor:innen“ des Vereins EL-DE-Haus mit Partner:innen in Erinnerung an die Verbrennungen von Büchern im Jahr 1933.

http://verbranntundverbannt.info/

Der Vortrag wurde gehalten am 25. April 2023 in der Melanchthon-Akademie in Köln.

Theologie und Naturwissenschaft im Horizont aktueller Erkenntnisse

Perspektiven ganzheitlicher Wirklichkeitserkenntnis

Dr. theol. Matthias Haudel, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, erläutert in seinem Vortrag am 2. März 2023 das theologische Schöpfungsverständnis vor dem Hintergrund der aktuellen Naturwissenschaften – und zwar sowohl hinsichtlich des Kosmos als auch im Blick auf den Menschen (u.a. Evolution, Neurowissenschaften). Ferner präsentiert er bedeutende Dialogkonzeptionen und einseitige reduktionistische Entwürfe.

Bildung als Muss und Genuss

Lass uns reden I #61

Die Melanchthon-Akademie engagiert sich unter anderem für eine „Bildung für alle“. Hier erzählt der Leiter, Dr. Martin Bock, wie dieses Ziel Realität werden kann, von Bildungsangeboten zwischen „Himmel und Erde“, wie es zur Namensgebung kam und was diese letztlich mit dem Bildungsauftrag zu tun hat.

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